Wagenplatz (auch Bauwagenplatz oder Wagenburg)
Idee
Wagenplätze sind Wohngemeinschaften aus mobilen Fahrzeugen wie Bauwagen und ausgebauten LKWs, Wohnwägen, Anhängern und Wohnmobilen, die auf einer Brachfläche stehen.
Viele der BewohnerInnen sehen diese alternative Wohnform als Möglichkeit an, aus der konsumorientierten Gesellschaft auszusteigen, hin zu einer mehr selbstbestimmten und unabhängigen Lebensweise. Dieser Wunsch wiegt etwaige Nachteile wie fehlenden Wohnkomfort und eine prekäre Rechtssituation auf.
Abgrenzung
Die Selbstbeschränkung erfolgt freiwillig und nicht aus finanzieller Not, wie bei den Bewohnern sog. Trailerparks oder Wohnwagensiedlungen, die entstehen, wenn Menschen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind eine Wohnung/ein Haus zu halten.
Beispiele
*Wagabanda Bielefeld
*Bambule im Hamburger Karolinenviertel (geräumt 2002)
*„Schwarzer Kanal e.V.“ (Berlin) und der Wagenplatz „Schwarzer Kanal“ (Berlin) selbst
*Wagenplatz Mainz – frischluftschneise ———►
*Schattenparker in Freiburg – Der städtische Wagenplatz am Eselwinkel
*Wagenplatz Alt Ungnade in
Mecklenburg-Vorpommern
auf coforum
* „Kuntabunt“ und „Bambule“
(Tübingen)
*Die Laster und Hängerburg – Seite
*der „Walli“ (Lübeck)
*„Riss + Lücke“ (Wuppertal)
*Wagenplatz ZAFFARAYA in Bern/CH (Bild oben)
Vernetzung
*Wagenburg.de
*Wapedia WikiProjekt Autonome und Hausbesetzer-Bewegung
Vorteile des Wagenlebens
Vielen erscheint die erweiterte Mobilität sogar als Vorteil. Daneben steht die freie Gestaltung des eigenen Lebensraums mit geringem Aufwand und überwiegend ökologischen Baustoffen. Dann ist im Unterschied zum Häuserbau für den zusätzlichen Wohnraum keine weitere Flächenversiegelung nötig. Begrenzte Räumlichkeiten erlauben ein sparsames Heizen mit Holz als einem nachwachsenden Rohstoff. Für die Lebensmittelversorgung kann einiges selbst angebaut werden.
Neben den ökologischen Argumenten gibt es die sozialen, die von den Wagenplatzgemeinschaften oft zugunsten ihres Projekts angebracht werden: Es entsteht eine Wohnkultur, die der heutigen weitgehenden Vereinzelung isolierter Mietparteien in anonymen und weitläufigen Mietobjekten entgegenläuft, und sich trotzdem nicht von der Öffentlichkeit absondert. Im Gegenteil: oft werden Veranstaltungen geplant und ausgeführt und das Gelände steht prinzipiell offen, z.T. nach Zahlung eines geringen Entgelts. Außerdem können durch die Wagenplätze ehemals brachliegende Grundstücke aufgewertet werden und die bauliche Vielfalt wird belebt.
Probleme
Die oben genannten und andere positive Aspekte werden von AnwohnerInnen selten gewürdigt. Die Skepsis gegenüber der unkonventionellen Art zu leben überwiegt. Hauptkritikpunkte von GegnerInnen sind immer wieder die hygienischen Zustände aufgrund fehlender Abflussanlagen und Müllentsorgung. Und das obwohl im Normalfall Frischwasserversorgung und Abwasserentsorgung gewährleistet sind: Über externe Quellen auf benachbarten Grundstücken oder an öffentlichen Trinkwasseranlagen wird Wasser in Kanister abgefüllt und transportiert. Für das Abwasser gibt es entweder öffentliche Anschlüsse, Auffangtanks oder es wird dezentral versickert. Gelegentlich gibt es auch selbstgebaute Klärteiche und Kleinkläranlagen. Fäkalien werden in Tankanlagen gesammelt. Teilweise werden auch Kompost- oder Chemietoiletten genutzt. Legale Plätze haben sogar eine ähnliche Ausstattung wie Campingplätze, d.h. unter Umständen sogar eigene Sanitäreinrichtungen. Strom erhält man entweder wieder über Nachbarn oder direkt vom öffentlichen Netz – nicht immer offiziell und zahlungspflichtig. Ein Teil des Stroms kann ökologisch mit kleinen Windrädern und Solaranlagen erzeugt werden. Müll wird getrennt und so weit wie möglich recycelt.
Die tägliche Auseinandersetzung mit der Grundversorgung erscheint auf den ersten Blick mühsam. Gleichzeitig schafft sie allerdings ein nicht mehr alltägliches Bewusstsein für Ressourcen und deren Verbrauch, was von den BewohnerInnen durchaus positiv bewertet wird.
Hintergrund
Entstanden sind Wagenplätze zunächst nach dem zweiten Weltkrieg, weil nicht genug Wohnraum vorhanden war. Das ist auch der Grund für den Stand der Gesetze, die solche eine Wohnform nur als zeitlich befristet vorsehen. Die heutige Form der Wagenplätze entwickelte sich hingegen erst aus der Hausbesetzerszene Mitte der 1980er Jahre. Dementsprechend klein sind die Überschneidungen.
Rechtliches
Es gibt drei Typen von Wagenplätzen:
1.Illegale und nicht anerkannte Wagenplätze, denen konstant eine Räumung droht. Diese sind aber sehr selten.
2. Der Großteil der Plätze (etwa 80%) sind zumindest geduldet. Dabei unterscheiden sie sich hinsichtlich der Rechtssicherheit, und ihren Zukunftsaussichten. Explizite Vereinbarungen zur Nutzungsdauer fehlen meist. Informelle Vereinbarungen überwiegen. Zum Teil ist auch nur eine Erlaubnis zur Zwischennutzung vom Eigentümer eingeräumt, wenn er zukünftige Verwertungsinteressen geltend machen kann.
3. Zuletzt gibt es einzelne legalisierte oder zugewiesene Standplätze. Auch diese verfügen über unterschiedlich verbindliche Vereinbarungen bezüglich ihres Status. (Ein Positivbeispiel wie Stadt und Wagenplatzbewohner zum Wohle aller zusammen arbeiten können findet sich hier: Projekte der Hansestadt Lüneburg. Fragen und Antworten zum geplanten Bauwagenplatz )
Verbreitung / Trends
*Deutschland-Karte für Wagenplätze und besetzte Häuser
*Auflistung deutscher Wagenplätze
Es gibt keine exakten Daten, weil die Wagenbewohner nicht bzw. dezentral organisiert sind. Einzig am Bedarf nach Flächen lässt sich ein großes Interesse an mobilen Wohnformen ablesen.
Gesellschaftspolitische Debatte
Die Diskussion um die Legalisierung von Wagenplätzen ist laut Wagenplatz-VerfechterInnen in erster Linie kein baurechtliches Problem, sondern eine Frage des politischen Willens und der Frage wie Mehrheiten mit den Wünschen von Minderheiten umgehen wollen. Wie oben bereits erwähnt, überwiegt die Ablehnung der breiten Bevölkerung gegenüber dieser Lebensform, wohl auch weil sie nicht verbreiteten Normen entspricht. Dabei ist nicht plausibel zu begründen, warum Dauercamper und Kleingärtner nicht die gleiche Ablehnung erfahren. Es besteht dennoch Hoffnung, dass sich die gesellschaftliche Einschätzung noch ändert, ähnlich wie bei den WGs, die früher umstritten, jetzt zum Normalfall wurden und dementsprechend anerkannt sind.
Links
*Wagenplatz auf Wikipedia, Wagenplatz auf anarchopedia
*Wapedia: Wikipedia für Wagenplätze
TV
* Wir vom Wagenplatz – Metro @ PULSTV 8. Oktober 2007, Metro vom 7.9.2007; VJ: Sarah Goldschmidt. Metro besucht den einzigen Wiener Wagenplatz und schaut sich an, wie es sich in Wohnwägen und LKWs so leben lässt
*Doku über den Wagenplatz Bambule in Hamburg St. Pauli
Artikel/Berichte über das Thema
*BIELEFELD: „Wagabanda“ im Weg – 16 Jahre altes alternatives Bauwagen-Wohnprojekt in Not wegen der Erschließung des Campus-Geländes 23.07.2010 VON ANSGAR MÖNTER
*Jungle World – die linke Wochenzeitung: Wem gehört die Stadt? Jungle World Nr. 50, 4. Dezember 2002
*Wien: Repression gegen Wagenplätze geht weiter auf indymedia von treibstoff 04.11.2010
*FR: Deutschlandfans greifen Wagenplatz an Anarchistische Gruppe Freiburg 09.07.2010
* Bambule: Mahnwache im Schanzenviertel auf indimedia von Lahand 28.11.2002
* „Bambule“: Solidaritätsbewegung für Bauwagenplatz wird zur „Anti-Schill-Kampagne“ Bürgerinfo und Bürgerservice auf Hamburg.de
*Ausstellung zu Wagenburg Leben in Berlin
* Queer leben auf dem Wagenplatz „Schwarzer Kanal“ (Berlin), Bildarchiv
Literatur zu dem Thema
*Stefan Canham: Bauwagen. Mobile Squatters. Peperoni Books, Berlin 2006, (Bildband)
*Hubertus Janssen (Red.): Auf zur grundrechtlichen Verteidigung der Wagenburgen. Gegen den Missbrauch von Recht und Polizei zugunsten herrschender Ordnungsvorstellungen; am Exempel Ostfildern. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln 1998
*Anke Schulz: Fischkistendorf Lurup. Siedlungsprojekte, Schrebergärten, Bauwagen und Lager, 1920 bis 1950. VSA-Verlag, Hamburg 2002
*Annika Schönfeld & Tobias Pralle: Wohnen ohne Fundament – Handlungsmöglichkeiten von Politik und Stadtplanung im Umgang mit Wagenplätzen; Studienarbeit am Fachbereich Stadt- und Landschaftsplanung der Universität Gesamthochschule Kassel (GhK); Betreuung: Prof. Christian Kopetzki; Sommersemester 2000
*Das Wägler-Archiv gesammelt und erstellt von Herbert Kropp, Oldenburg (geht nur bis 1998!)
Hier gibt es:
→eine Studie zum Thema: Wohnen und Leben in ausgebauten Bau- und Zirkuswagen
→Bibliographie zur obigen Studie (Monographien, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel) mit 1107 Einträgen
→Photogalerie zum Thema „Wagenleben“( photographische Impressionen aus Wagenburgen in Berlin, München, Ulm sowie Photos von Wagen diverser einzelstehender WäglerInnen…)
→Dokumente:
– Wohnwagengesetze aus Hamburg (1959) und Bremen (1956)
– Landfahrerplatzverordnung der Stadt Oldenburg (1957)
– Arbeits- und Diskussionspapier des „Vereins für alternative Wohnkultur –
Initiativkreis Wagendorf“ in Bezug auf Gründung eines ökologisch
orientierten Wagendorfes in Oldenburg (1989)
– Redebeitrag auf den sog. „Wagentagen“ in Berlin (Ostern 1996)
– Erklärungen des ASTAs der Kasseler Uni zum Wagenplatz K18 bzw.
Presseerklärungen der Wagenbewohner des Platzes K18
– Interview mit Berliner Bauwagenbewohnern
– Berichte über new-age-travellers und das sog. „criminal law“ gegen
Fahrende in England